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Innovationen, Widerstände, Übergänge

Das Hashtag-Desaster

Über unseren umgang mit der öffentlichkeit

Wir hatten ja gerade in UK den Fall, dass Twitterer wegen Verleumdung massenhaft angezeigt werden (weil sie der BBC gefolgt sind in unberechtigten Kinderschänder-Vorwürfen gegen einen Politiker).
Die New York Times schrieb sinngemäß hierzu: Bürger, die durch das Internet wie Journalisten publizieren können, lernen nun die Schattenseiten des Journalistenseins kennen. – Gemeint war die Notwendigkeit, Vorwürfe zu prüfen, bevor man sich üblen öffentlichen Verleumdungen hingibt.

Es ist also festzustellen, dass Twitter als eine Öffentlichkeitsherstellende Kommunikations-Plattform wahrgenommen wird.

In einer Demokratie gelten gewisse Regeln, damit es nicht zu unverhältnismässigen Machtansammlungen in der öffentlichen Kommunikation kommen kann. Kartellbehörden wachen mal recht, mal schlecht über Umsetzung dieser Regeln. Es gibt auch ungeschriebene, nicht in Gesetzesform festgehaltene Spielregeln, die dazu dienen, eine Demokratie im Alltag zu sichern. – Die Regel, dass journalistische Produkte einer Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung unterliegen ist so eine (auch hier mal recht, mal schlecht).

Nun Twittter. Ein Medium (ein kommerzielles, wie sich viele gerade beeilen zu betonen), das faktisch eine stark in den politischen Raum multiplizierende Wirkung besitzt, bietet nun Veranstaltern die Möglichkeit, den crowd-publizistischen Prozess (aka den Hashtag-Stream) zu beeinflussen. Dies geschieht für den uninformierten Nutzer (von dem immer auszugehen ist) intransparent ohne weitere Erklärung. Aufmerksame Beobachter (z.B. Michael König, @michikoenig oder Konrad Lischka, @klischka) fragen sich nun, ob nicht eine ähnliche Regel wie die der Trennung von Redaktion und Anzeigenabteilung zu diskutieren wäre.

In erschreckend trauter Einigkeit stürmen die durch jahrzehntelange Marketing-Lügen und PR-Spins an eine verdrehte und zynische Welt gewöhnten CDUler und SPDler gegen diese geäußerten Bedenken.
Die Frage, ob auch auf kommerzialisierten Plattformen der individuellen Publizität eine ähnliche Trennung von Refinanzierungs-Methoden und redaktionellen (user-generated) Inhalten sinnvoll sein könnte, wird überrollt von lautstarkem Rechtfertigungsgebelle der getroffenen Hunde Kunden. Für mich der erschreckenste Moment in diesem ganzen Theater.

Es sind oftmals die kleinen Momente (der berüchtigte Tropfen im Fass), die eine bereits laufende gesellschafts-schädliche Entwicklung einem größeren Kreis verdeutlichen. Die Hashtag-Eventpage von Twitter hat das Potential eine ernsthafte Diskussion über die Verantwortung von digitalen Kommunikations-Plattformen im journalistischen Sinne auf breiterer Basis anzuregen.

Es kann nur im Sinne der Demokratie und einer funktionierenden Öffentlichkeit sein, wenn der Diskurs über die Wirkung des Internets durch solche Momente ein wenig die bisher eher Schwarz-Weiss-geprägte Methodik verlässt.

Als vor einigen Tagen im Berliner BASEcamp der Springer-Propagandaminister Keese mit dem Google-Cheflobbyisten Oberbeck über das Leistungsschutzrecht sprach, kamen da zwei zusammen, die sich eigentlich beide Regeln der Öffentlichkeit unterwerfen müssten, die vom Volk und nicht von neuen oder alten Konzernen bestimmt werden. Stattdessen wurde darüber diskutiert, wer in Zukunft die Gesetze festlegen darf, die die Macht der Aufmerksamkeit-Industrie zementieren. Dies zeigt, dass die Debatte über ein gutes Internet von den falschen Kräften dominiert wird.

Es ist zu beobachten, wie kommerzielle Plattform-Anbieter neuerdings immer wieder betonen, sie seien ja nicht „das Internet“. Gunnar Bender, Cheflobbyist von Facebook in Deutschland, wird nicht müde das ständig zu betonen und auch die wirtschaftstreuen CDUler wie @tj_tweets und @hildwin sprechen bei jeder Gelegenheit vom „Wirtschaftsraum Internet“, damit ja keiner auf die Idee käme über das Internet anderen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Miteinanders auszuprobieren.
Es muss also noch ein Internet jenseits von kommerzialisierten Angeboten wie Facebook, Twitter usw. geben. Wo ist dies und warum gehen da aktuell so wenige hin?

Es ist an der Zeit den immer wieder spannenden und leidenschaftlichen Diskurs über „das Internet“ als einen Diskurs über die Regeln unseres gesellschaftlichen Zusammenleben zu entdecken. Das Internet ist in einer Zeit geschaffen worden, die geprägt war/ist von einer menschenverachtenden, zynischen neoliberalen Ideologie. Die ein, zwei Generationen, die „mit dem Internet groß wurden“ sind auch die Generationen, die in einer von Marketing und PR verseuchten Öffentlichkeit großgeworden sind. Vielen merkt man dies sehr deutlich an, weil sie Gedanken über eine alternative Realität jenseits der marktkonformen Demokratie scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Die Selbstverständlichkeit, mit der viele die Twitter-Eventpage als „Service“ dargestellt und verteidigt haben, ist eines der Symptome dieser verseuchten Realität, aus deren falschen Bequemlichkeit sich viele nicht freiwillig lösen wollen.

In einer Gesellschaft, die die Öffentlichkeit als verhandelbare Masse eines Marktes behandelt, müssen sich Twitter, Facebook, Springer und Google nicht anstrengen, um ihre profitorientierten Manipulationen anzubieten. Jeder, der auf diese „Big Player“ mahnend zeigt, sollte sich auch fragen, welchen Beitrag er/sie dabei selbst leistet, einen marketing-verseuchten digitalen Raum zur beherrschenden Realität unserer wertvollen neue Öffentlichkeits-Sphäre – ze Internet – zu machen.
Eine andere Realität ist möglich. Darüber zu reden wäre mal der Anfang eines echten Wandels.

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7 Kommentare zu “Das Hashtag-Desaster

  1. Pingback: Leistungsschutzrecht: Einig in der Uneinigkeit | UdL-Digital

  2. Daniel Bröckerhoff
    10/12/2012

    Das Internet war mal ein Nicht-Wirtschaftsraum. Bis zu einer gewissen Größe. Dann kam der Zeitpunkt, wo man mit dem Netz Geld verdienen konnte. Das war der Moment wo das Internet seine „Unschuld“ verlor. (Ob das Bild für ein Netzwerk taugt, sei mal dahingestellt.)

    Es gibt Räume im Netz, die nichtkommerziell sind. Dies sind allerdings nicht die Räume des Mainstream, die Räume in denen sich viele Menschen tummeln, die Räume, die gut funktionieren und ohne viel technisches Wissen funktionieren und bedienbar sind. IRC-Channels, Useboards, Jabber, Diaspora etc.

    Die Logik unserer Welt ist aber nun mal: Die guten Leute gehen dahin, wo man Geld verdienen kann. Der Idealisten sind wenige. Fast jeder hat seinen Preis. Und so kommt es, dass die Räume, die gut funktionieren, niedrige Einstiegsschwellen bieten und für jeden frei zugänglich sind kommerziell sind. Und wo Kommerz ist, hat die Moral und die Ethik im Allgemeinen keinen Primärplatz. Wenn dann müssen wir als Konsumenten dafür sorgen, dass die Unternehmen sich moralisch und ethisch verhalten. Indem wir mit Boykott drohen.

    Wo dann das nächste Problem auftaucht: Moral und Ethik sind kulturell unterschiedliche Normen. Nach welcher verhalten wir uns? Was in den USA bahpfui ist, ist bei uns okay und andersherum.

  3. Die Presse war mal ein Nicht-Wirtschaftsraum. Bis zu einer gewissen Größe. Dann kam der Zeitpunkt, wo man mit der Presse Geld verdienen konnte. Das war der Moment wo die Presse ihre “Unschuld” verlor.

    Sorry, Daniel, das konnte ich mir nicht verkneifen. 🙂

    Ja, ich weiß bei Twitter nicht was die alles ausfiltern. Genauso wenig weiß ich welche Deals Journalisten mit Politikern und Wirtschaftsleuten eingehen, was im Chefredaktionsfilter hängenbleibt, was von der PResse vertuscht oder aufgeschoben wird. Ich weiß auch nicht welche Interessen der Autor selbst hat und welcher Partei er wohlgesonnen ist und welche Markenlabels er gerne trägt und wesentlich wichtiger: Welche Anzeigenkunden ihm täglich die Butter aufs Brot schmieren und mit welchen PR-Leuten er wann und wo essen geht.

    Muss ich das wissen? Oder gibt es nicht noch so etwas wie Vertrauen?

    Es gibt keine unschuldigen Medien, genauso wenig wie es unschuldige Menschen gibt. Wir alle sind geprägt von eigenen und fremden Interessen, mal mehr mal weniger im Sinne der Gesellschaft oder im Sinne der Schwächeren.

    Ethik und Moral sind deshalb so schwer einzuhalten, weil es unmöglich ist sie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

    Wir leben im Wettstreit der Ideen, der Ansichten, der Interessen und der Geschichten. Wir sollten uns langsam davon verabschieden, dass es so etwas wie DIE EINZIG GÜLTIGE UND ANSTÄNDIGE WAHRHEIT oder gar FAKTEN gibt.

    Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir alle in Zynismus verfallen müssen, ganz im Gegenteil, ich denke der Frust über den großen Graben zwischen Idealismus und wahrgenommener Realität lässt uns auf Dauer erst zynisch werden. Wenn wir jedoch endlich mal kapieren, dass es nicht DAS RICHTIGE und DAS FALSCHE gibt, wären wir schon ein Stück weiter. Das bedeutet nicht dass uns alles egal sein kann, im Gegenteil es gibt uns endlich wieder unsere Eigenverantwortung zurück. Nicht DIE DA OBEN sind Schuld, sondern wir selbst. Aber das ist ganz schön anstrengend, all die Perspektiven und am Ende selbst denken und entscheiden.

    Das Internet ist nicht Twitter, wie Daniel sagt. Und Gegenmeinungen setzen sich am Ende auch trotz all der Filter durch, denn das entscheidende ist nicht der Anspruch das wir unfiltrierte „wahre“ Informationen bekommen sondern möglichst viele verschiedene Blickwinkel auf ein Thema.

  4. Ergänzend dazu:

    „Ein unmanipuliertes Schreiben, Filmen und Senden gibt es nicht. Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden oder nicht, sondern wer sie manipuliert. Ein revolutionärer Entwurf muß nicht die Manipulateure zum Verschwinden bringen; er hat im Gegenteil einen jeden zum Manipulateur zu machen.“

    Enzensberger Kursbuch 20/1970: 166

  5. Christoph Kappes
    10/12/2012

    Das Internet wurde von der DARPA finanziert und diese hat auch alle Beteiligten zum Einsatz einheitlicher Protokolle gezwungen.
    Da gibt es keine historische Argumentation im Sinne von „gehört uns“, ihr Hasen. Das Interent gehört, wenn, dann dem Militär.

    Da muss man schon mit Argumenten kommen, welche Regeln warum gelten sollen.

    Dieser Fall ist doch recht simpel: Wer, wenn nicht Parteien, die für den Meinungskampf da sind, sollte filtern dürfen? (Der Anbieter ist imho nicht Twitter, sondern die Partei, weil sie inhaltlich Einfluss hat.) Ich erinnere in diesem Zusammenhang gern an den Medienbaukasten von Enzensberger im Kursbuch von 1970, wonach Manipulation unvermeidlich ist und zur Forderung erhoben wird, ein jeder solle manipulieren können.

    Das Problem ist, dass es sowohl das Filtern als auch der Anbieter (Partei) hier nicht für jedermann sichtbar war, insofern könnte bei Unbedarften ein fehlerhafter Eindruck vom Parteitag bzw von der Neutralität des Mediums entstehen.

    Das könnte Twitter ändern, wenn Twitter ein Gefühl dafür hätte.
    Da Gefühle von Organisationen nur durch Organe (=Personen) ermittelt werden können, haben wir hier allerdings ein ganz anderes Strukturproblem: die wenigsten US-Unternehmen haben die Organe, europäisches Denken durch eine politische Brille wahrzunehmen. Ideen von unbiased public interessieren diese Personen weder, noch verstehen sie sie. Da ist die Ursache des Problems, höher aufhängen würde ich es nicht.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 10/12/2012 von in Übergänge, Journalismus, Widerstände, Wirtschaft.

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